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Die teuerste Platte aller Zeiten


10. Dezember 2006 Samstag morgen, um 5.27 Uhr mitteleuropäischer Ortszeit, ging auf der Internet-Tausch- und Auktionsbörse Ebay ein Bieterverfahren zu Ende, das für die Rockgeschichte ein ebenso einschneidendes Ereignis bedeutet wie die Platte, um die es dabei ging: „The Velvet Underground & Nico“ von der gleichnamigen Band wechselte für 155.401 Dollar (umgerechnet 116.869 Euro) den Besitzer.

Der Kanadier Warren Hill hatte die Platte im September 2002 in einer Flohmarktkiste im New Yorker Stadtteil Chelsea für fünfundsiebzig Cent gekauft. Obwohl es unterschiedliche Statistiken gibt, dürfte es sich damit um die teuerste Rockplatte überhaupt handeln. Zwar wird eine sogenannte Ten-Inch-Platte von den „Quarrymen“, der Keimzelle der „Beatles“, im Magazin „Record Collector“ für etwa hunderttausend Pfund gehandelt, aber diese Summe wurde noch nie bezahlt; die Platte wird mit „priceless“ ausgezeichnet, gilt also als unschätz- beziehungsweise unbezahlbar. Die nächstteuren Platten folgen in großem Abstand: seltene Pressungen von abermals den „Quarrymen“ sowie den „Beatles“ und den „Sex Pistols“, die zwischen fünf- und zehntausend Pfund kosten.


 

Musik als Kapitalanlage

Wie musikverrückt muß man sein, um für eine Schallplatte 155.401 Dollar zu bezahlen? Diese Frage ist naiv. Man muß sich noch nicht einmal für Musik interessieren, denn auch Platten sind, wie die bildende Kunst, eine Kapitalanlage und können deshalb ohne weiteres auch reichen Banausen in die Hände fallen. Seriöse Vinylsammler, denen es um die Musik geht und die ihre Platten zu Hause auch wirklich abspielen, haben in der Regel zuwenig Geld, als daß sie solche Sprünge machen könnten.

Der nun getätigte Kauf ist, über die bloße Summe hinaus, auch in anderer Hinsicht bemerkenswert: „The Velvet Underground & Nico“ ist, dank dem vom Bandmentor Andy Warhol gestalteten Cover, eine der bekanntesten Platten der Popgeschichte; sie gehört zum Heiligen Gral. Die in geringer Auflage erschienene Erstpressung kostet mit der nach einem Siebdruck gefertigten, abnehmbaren Bananenschale, der darunter sichtbaren, obszön fleischfarbenen Banane und dem Fototorso auf dem Rückcover je nach Zustand zwischen zweihundert und dreizehnhundert Euro.

 

Mythos der Popgeschichte

Diese für Werke aus dem klassischen Popkanon keineswegs unübliche Summe ergibt sich aus der gleichsam mythischen Verdichtung und Überhöhung von „The Velvet Underground & Nico“, in der rock- und, über den Warhol-Faktor, kunstgeschichtliche Bedeutung zusammenkommen und die nur noch mit dem freilich erheblich günstiger zu habenden „Sgt. Pepper“-Album der „Beatles“ zu vergleichen ist.

Die nun verkaufte Platte aber hat paradoxerweise überhaupt keinen kunsthistorischen Wert, denn es handelt sich um eine Acetat-Pressung ohne das nachmals legendäre Cover. Auf dem kupferfarbenen Label in der Mitte der Platte steht die Nummer XTV 122 402, dazu das Datum „4-25-66“ sowie, ohne „Nico“ (so hieß die inzwischen verstorbene Sängerin), „Velvet Underground. Att. Mr. N. Dolph“.

 

Fassung erster Hand

Norman Dolph war ein Musikexperte, den Warhol mit einem seiner Bilder dafür gewonnen hatte, den Ertrag von viertägigen Aufnahmen in einem kleinen, bereits baufälligen New Yorker Studio auf Acetat zu pressen, um damit bei Plattenfirmen vorstellig zu werden. Es ist also gewissermaßen die Fassung erster Hand, der Urentwurf zu dem, was unter dem Titel „The Velvet Underground & Nico“ Popgeschichte schreiben sollte. Columbia Records lehnte damals ab. Erst im Jahr darauf, 1967, erschien auf dem Jazz-Label Verve die Platte mit dem berühmten Cover. Der Band gehörten unter anderen Lou Reed und John Cale an.

Die Acetat-Platte ist vermutlich das einzige erhaltene Exemplar; Gerüchte, wonach David Bowie und die ehemalige „Velvet Underground“-Schlagzeugerin Maureen Tucker ebenfalls eines besitzen, haben sich bisher nicht bestätigt. Das auf einer Aluminiumschicht aufgetragene Acetat ist härter als herkömmliches Vinyl und entsprechend weniger bruchfest.

 

Ein einmaliges Artefakt

Der nunmehr vormalige Besitzer Warren Hill wandte sich nach dem Zufallsfund an den in Portland, Oregon, wohnenden Plattenhändler Eric Isaacson, der sofort wußte, worum es sich handelte: „Uns wurde klar, daß wir im Besitz eines einmaligen Artefakts sind – der ersten Aufnahme einer der einflußreichsten Rockgruppen aller Zeiten.“

Sechs von zehn Liedern sind hier in einer anderen, stärker blueslastigen und weniger üppigen Abmischung zu hören; die berühmten Songs „Heroin“, „Venus in Furs“, „Waiting for the Man“ und „European Son“ blieben unverändert, sind also auf der später veröffentlichten Platte in ihren Originalversionen enthalten. Die Acetat-Fassung bekam unter der Bezeichnung „The Lost Scepter Studios Recordings“ einen ebenso mythischen Ruf wie die reguläre Fassung, deren sogenannte Mastertapes angeblich verbrannt sind.

 

Rasantes Bietergefecht

Trotz ihres legendären Status wurde die Platte Ende der siebziger Jahre, zur Hochzeit der maßgeblich von „Velvet Underground“ inspirierten Punkbewegung, gar nicht mehr neu aufgelegt. Heute gibt es sie in drei CD- und, neu wie gebraucht, mindestens einem halben Dutzend Vinyl-Versionen, darunter auch eine neue, klanglich ausgezeichnete, weil den Baß viel besser abbildende Monopressung, die in Deutschland rund zwanzig Euro kostet.

Warren Hill beauftragte schließlich den in Oakland, Kalifornien, ansässigen, auf Vinyl spezialisierten Schallplatten-Vertrieb Saturn Records, das Verfahren bei Ebay einzufädeln. Es ging, am 28. November, los mit der üblichen Summe von neunundneunzig Cent. Das erste seriöse Angebot lag schon bei 20.000 Dollar, dann ging es, von Hill skeptisch und durchaus ohne Euphorie verfolgt, rasch hoch in den sechsstelligen Bereich.

Im Laufe des zehntägigen Bieterverfahrens gab es im Internet Kommentare, die anregten, man solle ein solch teures Stück nicht in Privathände, sondern in ein Museum geben – auch dies ein Indiz dafür, daß der voreilig totgesagte Schallplattenmarkt nicht nur blüht, sondern mittlerweile auch eine neue, bisher nicht vorstellbare Dimension erreicht hat, die sich der des freilich noch ganz anders explodierenden Kunstmarkts langsam nähert.

 

Der Preis der Unspielbarkeit

Die Anbieter ließ die Anregung jedoch kalt: „Wir sind zuversichtlich, daß der Artikel an einen verantwortungsvollen Käufer geht.“ Was immer das heißen mag.

Oft wird der neue Besitzer, möglicherweise ein Japaner, also einer derer, die im internationalen Hoch- und Höchstpreissegment an vorderster Front agieren, das gute Stück sowieso nicht auflegen können – Acetat-Platten sind eigentlich nur für den einmaligen Gebrauch da, damit man sich ein rasches Bild von der Musik machen kann, und verlieren bereits nach wenigen Malen erheblich an Klangqualität.

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